TRADITION IST NICHT DIE ANBETUNG DER ASCHE, SONDERN DIE  WEITERGABE DES FEUERS

 


Norbert Wolfgang Stephan Hann von Hannenheim


geboren in Hermannstadt
am 15. Mai 1898,
gestorben am 29. September 1945 im Landeskrankenhaus Obrawalde bei Meseritz/
Pommern)

Über seine Schülerschaft bei Schönberg

1929 wird Hannenheim in Schönbergs Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin aufgenommen und tritt innerhalb eines Konzertes mit zwei Kompositionen (Trio für Holzbläser und eine Suite für Klavier) erfolgreich an die Öffentlichkeit.

Arnold Schönberg war nicht nur verehrter Lehrer, sondern auch ein väterlicher Freund seiner Meisterschüler. Er sorgte sich um ihre Gesundheit und ihren Lebensstandard ... . H.H.Stuckenschmidt schreibt diesbezüglich: „NvH war zu ungeschickt und wohl auch zu nachlässig, um sich sein Geld als Musiker zu verdienen. Schönberg machte ihm darüber Vorhaltungen und redete ihm immer zu, er solle sich im Klavierspiel und im Dirigieren vervollkommnen. Es nützte nichts. H. fühlte sich im Grunde nur am Schreibtisch wohl,wenn er in seiner großen, deutlichen Schrift Partituren malte.“

Hannenheims Musik hatte etwas Ungezügeltes, Eruptives an sich. Demnach kann sich die folgende Debatte, von der Stuckenschmidt schreibt, nur auf NvH beziehen: „In der Meisterklasse wurde eine Stelle in einem Mozart-Quartett besprochen und Schönberg sagte, dass es sich um ein unbeweisbares Geheimnis handele. Der Schüler erklärte, man könne da etwas beweisen. ›In der Kunst kann man gar nichts beweisen‹“ erwiderte Schönberg ›Und wenn, dann nicht Sie - und wenn Sie, dann nicht mir!‹“

In der ersten Oktoberhälfte 1932 wird NvH das Staatsstipendium für Komposition der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung zuerkannt Schönberg ist Mitglied der Jury.

Im Mai 1933 wurde NvH mit einem Preis der Wiener Emil Hertzka-Stiftung ausgezeichnet.

(Emil Hertzka, 1869 Pest - 1932 in Wien war von 1907 bis 1932 Direktor der Universal Edition.) Prämiertes Werk: V. Sinfonie. Zur Jury gehörte u.a. Alban Berg.

Er lebte, wie Mitschüler und Freunde berichtet haben, sehr zurückgezogen und in schwierigen finanziellen Verhältnissen. Unter den Bedingungen der weltweiten großen Wirtschaftskrise wurden alle Zuwendungen des Staates gekürzt und Menschen wie der freischaffende Künstler NvH waren besonders davon betroffen. Dazu der Musikkritiker Walter Schrenk: „Der größte Teil unserer jungen Komponisten lebt in einem fürchterlichen Elend: viele von ihnen können sich kaum einmal in der Woche ein warmes Essen leisten, ja ich kenne Fälle von ausgesprochener Hungerpsychose. ...“

In ihren Erinnerungen schreibt Natalia Prawosudowitsch, eine ehemalige Mitschülerin, über den „langen, immer schwarz gekleideten NvH“ und die pekuniären Nöte, welche die schöne Zeit in Berlin für alle Meisterschüler überschatteten: „NvH zum Beispiel wohnte in einer Dachkammer und schlief so viel als möglich, um sich das Essen zu ersparen“.

In seiner Studienzeit wohnte Hannenheim in Berlin W. 50 Nürnbergerstraße 37/38 IV."IV" heißt: 4 Treppen hoch, also im 4. Stock, das war in der Regel das höchste Stockwerk, also eine Dachkammer. Das Haus 37 ist Nürnberger/Ecke Lietzenburger, sein Weg ging dann wohl schräg über den Damm die Schaperstraße entlang, und er war in 5 Minuten in der Hochschule der Künste an der heutigen Bundesallee.Später, zum bösen Ende hin, lebte in der Rüdesheimer Straße 13 in Schmargendorf, im sogenannten "Rheinischen Viertel", einem gutbürgerlichen Akademiker-Stadtteil.

Von seinen Mitschülern sind einige Beschreibungen überliefert, die seine Sonderstellung unter den Meisterschülern zeigen. So berichtete etwa Erich Schmid (1907 Balsthal, Kanton Solothurn/CH - 2000 Zürich): »Er war absolut selbständig in seinen Urteilen und ließ sich – auch von Schönberg – nicht belehren. Er war wohl der Einzige, der Schönberg hemmungslos widersprach.« In der Tat hat Arnold Schönberg Hannenheim in späteren Jahren – noch in Amerika – einen seiner besten Schüler genannt und sich brieflich nach seinem Verbleiben erkundigt.
 Hans Heinz Stuckenschmidt hat die amerikanische Öffentlichkeit bereits mit einem in
Modern Music veröffentlichten Aufsatz auf Hannenheim aufmerksam gemacht, doch scheint seine Musik außerhalb Europas nirgends bekannt geworden zu sein, obwohl sie auf internationalen Musikfesten zu Gehör gekommen war. Stuckenschmidt nannte ihn in seinem Artikel einen »der wirklich Talentierten der jüngeren Generation. Ein Schüler Schönbergs, verkörpert er die Lehre des Meisters in einer ganz persönlichen und durchdachten Weise. Die Individualität seines Stils liegt in perfektem tonalem Gleichgewicht und findet Ausdruck in einem Reichtum von Intervallen, der jede Note, jeden Akkord, jede horizontale und vertikale Linie der Struktur miteinander verbindet.«
(
Modern Music, vol. X, 1932/33, p. 166)
Stuckenschmidt hob die Persönlichkeit Norbert von Hannenheims zu Recht hervor. Hannenheim … war im Berlin der zwanziger und frühen dreißiger Jahre des Jahrhunderts, dem damals kulturellen und musikalischen Weltzentrum, einer der aufstrebenden jungen Komponisten, dessen Werke häufig zur Aufführung kamen und von Musikern, Publikum und Presse mit außergewöhnlichem Interesse gedacht wurden. Er erhielt Stipendien und Preise. Seine Musik wurde von bedeutenden Künstlern interpretiert und mit großem Erfolg bei internationalen Musikfesten aufgeführt.

Anfang der 1930er-Jahre komponierte Hannenheim eine große Anzahl unterschiedlicher Werke. In diesen Jahren war er immer wieder gezwungen, durch Kopieren von Noten und Korrigieren von Druckvorlagen seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Schönberg verwendete sich persönlich für Hannenheim, zum Beispiel in einem Brief an den sozialdemokratischen Bildungsminister Leo Kestenberg vom 16.9.1930, um ihm finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen, was aber doch unzureichend ausfiel.

Der Felix Mendelssohn Bartholdy-Preis (heutzutage von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verliehen) wurde Hannenheim 1932 zugesprochen. Im selben Jahr erlitt er einen Nervenzusammenbruch, erholte sich aber schnell wieder. Sein 2. Klavierkonzert mit kleinem Orchester in einem Satz feierte große Erfolge und wurde über viele Sender verbreitet. 1933 erhielt er zusammen mit drei anderen den Emil Hertzka-Preis der Universal Edition Wien, der von 1933-37 vergebenen wurde, lt. Wikipedia für seine 5. Sinfonie. In der Jury saßen Alban Berg, Anton Webern und Ernst Krenek.

Mit dem Dritten Reich fand seine Karriere ein Ende, es kam nur noch zu wenigen Aufführungen. Zwar schrieb er viel, aufgeführt wurde einiges, doch gedruckt nichts, und von 1933 an war er als Zwölftöner so chancenlos, dass er in einem Brief an die Reichsmusikkammer um ein Stipendium bat. In den betreffenden Akten fand Herbert Henck bestätigt, dass Hannenheim »zeitweise tagelang nichts zu essen hatte.« Während dieser Zeit hielt sich der Komponist mit Volksliedbearbeitungen über Wasser, politische Aufträge – wie etwa eine Komposition für die Berliner Olympiade – lehnte er ab.
Offenbar erkrankte Hannenheim dann psychisch und wurde im Juli 1944 nach einem schizophrenen Anfall in eine Berliner Klinik eingewiesen, von dort in die pommersche Landesheilanstalt Obrawalde bei Meseritz.

Von Hannenheim, der im zeitgenössischen Berliner Musikleben gut dokumentiert ist, sind – bedingt durch die Wirren des Zweiten Weltkrieges – leider nur sehr wenige Werke überliefert. Ein Großteil seiner Werke lag in einem Berliner Banktresor, der zerstört oder geplündert wurde.

Ein Verzeichnis seiner von ihm selbst angemeldeten Kompositionen enthält mehr als 200 Werke: Sinfonien, Kammermusik, Chöre, Lieder u.a.
Inzwischen aufgefunden und verfügbar sind:
Klavierkonzerte Nr. I und Nr. II (nur Klavierstimmen erhalten)

1 Komposition für Kleines Orchester
1 Komposition für Blechbläser
2 Orgelkompositionen
Lieder für Stimme und Klavier nach Texten von Rilke, Dauthendey u.a. (6 davon 1999 instrumentiert von Geert van Keulen für Schlagzeug, Harmonium, Klavier, 2 Violinen, 2 Bratschen, Cello und Kontrabass)
6 Klaviersonaten
1 Streichtrio
6 Streichquartette
2 Kompositionen für Geige und Klavier
1 Komposition für Geige und Bratsche
6 Kompositionen für Bratsche und Klavier

Informationen zu den Standorten der Noten erhalten Sie bei
musica-suprimata@gmx.de

Quellen:
Peter Gradenwitz:
Arnold Schönberg und seine Meisterschüler, Berlin 1925-1933. Paul Zsolnay, Wien 1998, ISBN-3-552-04899-5;
Schönberg-Institut, Wien;

Herbert Henck: Norbert von Hannenheim. Die Suche nach dem siebenbürgischen Komponisten und seinem Werk. Deinstedt 2007. ISBN 978-3-9802341-5-3
www.kompost-verlag.de)

In seiner Hannenheim-Monographie hat der Pianist und Musikwissenschaftler Herbert Henck akribisch alles verfügbare Wissen über Hannenheim zusammengetragen. Außerdem interpretierte er als Erster systematisch, d.h. so vollständig wie seinerzeit möglich, Hannenheims Klaviersonaten, und zwar die Nummern 2, 4, 6 und 12, die Einspielung trägt die Signatur ECM New Series 1937/4765276.


Ergänzende Version aus dem Kolloquium 2022

1929 also wird Hannenheim in Schönbergs Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin aufgenommen und tritt innerhalb eines Konzertes mit zwei Kompositionen (Trio für Holzbläser und eine Suite für Klavier) erfolgreich an die Öffentlichkeit.
Ein Dr. W. Sachse berichtet im "Steglitzer Anzeiger“ vom 22.5.1930 über die Aufführung der 3. Symphonie von Hannenheim am 20.5.1930: „In Hannenheim ist Musikantenblut, er hat auch Atem und Ruhe des Gefühls, um ein echtes, nicht persifliertes Adagio schreiben zu können.“
Am 23. Mai 1930 fand im Kammermusiksaal Bechstein u.a. die Aufführung einer Klaviersonate statt: "Beginnend mit mit einem zart hingetupften, tropfenden Andante, seltsam zerrissen in der nur stockend sich vortastenden Thematik, ein ganz merkwürdiges Stück voll skurriler Anmut, zu dem das nachfolgende, gedrungene, fast bissige Allegro martellato einen reizvollen Gegensatz bildet.“ So Walter Schrenk, ein Musikkritiker der 1920er Jahre (1893-1932) in der Deutschen All-gemeinen Zeitung vom 23. Mai 1930, das heißt: kurz hintereinander in einer Woche berichteten zwei Feuilletons über Hannenheims Musik.
In einem Kammerkonzert im Mai 1931, drei Streichquartette, zum dritten Quartett: „Es unterscheidet sich von den beiden anderen durch die starke Ausdruckskraft der vielfach sich überschneidenden melodischen Linien, es ist am reifsten gearbeitet, in einem klingenden disziplinierten Kontrapunkt geschrieben und mit überlegener Hand geformt. Einfälle von lyrischer Zartheit und leidenschaftlichem Elan tragen den ersten Satz, dem sich ein sehr schön ausgesungenes, warm und tief empfundenes Adagio anschließt. Ein logisch durchgeführtes Finale mit einem zwar nicht sehr prägnanten, aber phantasievoll weiterentwickelten Thema gibt dem Werk einen lebendigen Ausklang…“ (Schrenk, DAZ 19.5.1931. Zu Walter Schrenks Begräbnis nach dem 27. Februar 1932 siehe http://www.herbert-henck.de/Internettexte/ Schrenk_I/schrenk_i.html#K3. Herbert Henck ist auch derjenige, der die Biografie über Norbert von Hannenheim erarbeitete.)
Im Januar 1932 wurde eine neue Sinfonie in Berlin uraufgeführt: der aus Wien stammende Dirigent Ernst Kunwald leitete das Berliner Symphonie-Orchester in einem „Gemeinnützigen Uraufführungskonzert für zeitgenössische Tonsetzer“. In einem Konzert mit dem Berliner Funkorchester für die IGNM dirigierte Eugen Jochum Hannenheims „3. Konzert für Orchester“ in einem Satz. Die Kritik bescheinigt Hannenheim: „Dieser Mann ist ehrlich. Sein Werk das einzige, das innere Sauberkeit und äußere Gestalt hat. In seinem konstruktiven, dennoch durchfühlten Versponnensein repräsentiert er bereits Wesentliches unserer Lage, unseres Volkes…“
Norbert von Hannenheim hatte ganz offensichtlich/offenhörlich Schönbergs Lehre verinnerlicht.
Arnold Schönberg war nicht nur verehrter Lehrer, sondern auch ein väterlicher Freund seiner Meisterschüler. Er sorgte sich um ihre Gesundheit und ihren Lebensstandard ... . H.H.Stuckenschmidt schreibt diesbezüglich: „NvH war zu ungeschickt und wohl auch zu nachlässig, um sich sein Geld als Musiker zu verdienen. Schönberg machte ihm darüber Vorhaltungen und redete ihm immer zu, er solle sich im Klavierspiel und im Dirigieren vervollkommnen. Es nützte nichts. H. fühlte sich im Grunde nur am Schreibtisch wohl,wenn er in seiner großen, deutlichen Schrift Partituren malte.“
Hannenheims Musik hatte etwas Ungezügeltes, Eruptives an sich. Demnach kann sich die folgende Debatte, von der Stuckenschmidt schreibt, nur auf NvH beziehen: „In der Meisterklasse wurde eine Stelle in einem Mozart-Quartett besprochen und Schönberg sagte, dass es sich um ein unbeweisbares Geheimnis handele. Der Schüler erklärte, man könne da etwas beweisen. ›In der Kunst kann man gar nichts beweisen‹“ erwiderte Schönberg ›Und wenn, dann nicht Sie - und wenn Sie, dann nicht mir!‹“
H.H. Stuckenschmidt nannte ihn in seinem Artikel einen „der wirklich Talentierten der jüngeren Generation. Ein Schüler Schönbergs, verkörpert er die Lehre des Meisters in einer ganz persönlichen und durchdachten Weise. Die Individualität seines Stils liegt in perfektem tonalem Gleichgewicht und findet Ausdruck in einem Reichtum von Intervallen, der jede Note, jeden Akkord, jede horizontale und vertikale Linie der Struktur miteinander verbindet.“ („Modern Music“, vol. X, 1932/33, p. 166)
Er lebte, wie Mitschüler und Freunde berichtet haben, sehr zurückgezogen und in schwierigen finanziellen Verhältnissen. Unter den Bedingungen der weltweiten großen Wirtschaftskrise wurden alle Zuwendungen des Staates gekürzt und Menschen wie der freischaffende Künstler NvH waren besonders davon betroffen. Dazu der Musikkritiker Walter Schrenk: „Der größte Teil unserer jungen Kompo-nisten lebt in einem fürchterlichen Elend: viele von ihnen können sich kaum einmal in der Woche ein warmes Essen leisten, ja ich kenne Fälle von ausgesprochener Hungerpsychose. ...“
In ihren Erinnerungen schreibt Natalia Prawossudowitsch, eine ehemalige Mitschülerin, über den „langen, immer schwarz gekleideten NvH“ und die pekuniären Nöte, welche die schöne Zeit in Berlin für alle Meisterschüler über-schatteten: „NvH zum Beispiel wohnte in einer Dachkammer und schlief so viel als möglich, um sich das Essen zu ersparen“.
Der Schriftsteller Wolf von Aichelburg schreibt in seinen Erinnerungen über eine Begegnung mit NvH in Berlin im Herbst 1936: „...Über sehr viele Dinge konnte man sich mit H. interessant unterhalten, doch wenn die Sprache auf Musik kam, war nichts Ernstes aus ihm herauszubekommen. Er erging sich in Paradoxa und Sarkasmen, wohl eine Stachelhaut, die er sich umgelegt hatte, seit seine Musik als höchst entartet in die Katakomben verdrängt wurde. NvH gehörte jedenfalls zu den Entarteten - ›Schauen Sie mich doch bloß an! Rabenschwarzes Haar, kohlschwarze Augen. Gibt Ihnen das nicht zu denken?‹ Ich bemerkte, dass Schönberg und andere ungefährdet im Ausland leben, worauf er antwortete: ›Dafür schreibe ich Volks-lieder‹ “. Die Pianistin Else C. Kraus, die viele von Hannenheims Uraufführungen spielte, schreibt in ihren Erinnerungen: „H.s finanzielle Lage war außerordentlich schwierig; er lebte vom Notenkopieren und von der Hilfe einiger Menschen, die ihn menschlich und künstlerisch hochschätzten. Wir sahen ihn sehr viel bei uns, bis sein Geist sich mehr und mehr verwirrte, was ihn sehr menschenscheu machte. Hermann Heiß sah ihn noch einmal auf offener Straße Anfang 1944.“
"Am 6. Juli 1944 erkannte der damalige Wilmersdorfer Amtsarzt, dass Hannenheim "gemeingefährlich geisteskrank" sei und ließ ihn in die Wittenauer Heilstätten einweisen. https://www.totgeschwiegen.org/ausstellung.html. Von dort wurde er am 30. August 1944 vermutlich mit einem Sammeltransport Berliner Patienten in die damalige Heilanstalt Meseritz-Obrawalde deportiert www.http://obrawalde. Dort überlebte er die besonders im Jahr 1944 betriebene massenhafte Tötung von Patienten. Ende Januar 1945 befanden sich noch 1 000 Patienten in der Anstalt, von denen zwischen dem 14. März und 31. Dezember 1945 364 starben. Hannenheim war einer von ihnen. Er starb am 19. September 1945 im Alter von 47 Jahren.
(http://www.eda-records.com )


Erich Schmid über Norbert von Hannenheim
"Eine sehr eigenartige Erscheinung in Schönbergs Klasse war der Siebenbürger Norbert von Hannenheim. Er muss ungeheuer viel komponiert haben, denn schon damals erzählte er von der 14. und 15. Sinfonie! Wie ich in Erinnerung habe, hatte seine Musik etwas Ungezügeltes, Eruptives an sich. Das Klavierkonzert, das ich im Akademie-Konzert dirigierte, spielte Else C. Kraus später auch in Frankfurt. Die Einstellung Schönbergs zu Hannenheim erschien uns anderen immer etwas rätselhaft. Irgendwie muss er ihn als große Begabung geschätzt haben, oder war es einfach die Freude des Großen an seinem 'Narren'? Hannenheim konnte sich alles erlauben. Er war absolut selbständig in seinen Urteilen und ließ sich - auch von Schönberg - nicht belehren. Er war wohl der einzige, der Schönberg hemmungslos widersprach. Vielleicht imponierte das Schönberg?
Über Hannenheim habe ich später noch zwei Meldungen von Peter Schacht erhalten, die diese merkwürdige Erscheinung vielleicht etwas erhellen können. Der erste Bericht datiert vom Mai 1932 und lautet: 'Daß Hannenheim irrsinnig geworden ist, weißt Du wohl? Er ist von Schrenk oder seinem Bruder nach Budapest gebracht worden. Er wollte seine Werke verbrennen, die Kraus hat aber noch den größten Teil gerettet. Es soll dieselbe Krankheit sein, die van Gogh gehabt hat, mit den selben Gehörstäuschungen, die bei Schumann auftraten. Schizophrenie und Beziehungswahnsinn. Sein neues Klavierkonzert soll hervorragend sein.' In einer zweiten Meldung vom Dezember 1932 heißt es: 'Anfangs November erschien plötzlich der Hannenheim im Kurs von Schönberg. Er hat sich außer-ordentlich gut erholt, ist wieder ganz in alter Frische und hat sich auch in kompositorischer Hinsicht sehr entwickelt. Die Kraus hat mir schon im Sommer sein 2. Klavierkonzert vorgespielt, auf dem er ja auf dem Musikfest in Wien einen großen Erfolg errungen hat. Ich muß sagen, daß es mir sehr gut gefallen hat. Sein Styl ist viel plastischer geworden, auch schreibt er jetzt viel besser für die Instrumente. Er hat ja den Mendelssohn-Preis gewonnen. Das hat natürlich auch günstig auf ihn eingewirkt.'
Hannenheims Werke scheinen völlig verschollen zu sein. Was mit ihm selbst geschah, ist nicht eruierbar, wahrscheinlich ist er einem Bombenangriff zum Opfer gefallen. Recher-chen, die vor einigen Jahren unternommen wurden, um etwas von Hannenheims Werken zu finden, verliefen meines Wissens erfolglos. Jedenfalls ist sicher, daß Hannenheim damals der nach außen erfolgreichste unter den Meisterklassenschülern Schönbergs war."
(Erich Schmid, in Melos ..., S. 203)


Die Bedeutung Hannenheims

Über sein Werk

Am 24. November 1934 bringt die „Woche“, Berlin, ein Bild und schreibt: „N.v.H. steht mit seinem Schaffen heute noch in unabgeschlossener Diskussion, in der Polemik werden Eigenschaften Hannenheims fast immer übergangen, die sein Künstlertum unanzweifelbar machen: hoher Ernst, künstlerische Gläubigkeit bis zum Fanatismus, unerbittliche Konsequenz. Hannenheim schreibt im Zwölftonsystem, dessen angeblich „intellektuelle Konstruktion“ allein schon durch seine stark erfühlte Musik widerlegt ist. In seinem Schaffen stehen Sinfonien und ein Klavierkonzert obenan“.







Prof. Dr. Ludwig Holtmeier, Freiburg i. Br.

Norbert von Hannenheim und die Berliner Schule


 


Kurztext


1929 zog der bereits 31-jährige Norbert von Hannenheim, bis dahin Kompositionsschüler von Paul Graener in Leipzig und anschließend von Alexander Jemnitz in Budapest, nach Berlin und besuchte den Unterricht in einer der „Meisterklassen“ für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste. Er trat damit in eine der bedeutendsten Kompositionsklassen des 21. Jahrhunderts ein und wurde Schüler des wohl berüchtigtsten Komponisten und Kompositionslehrers seiner Zeit: Arnold Schönberg. Die Leitung einer Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste zu Berlin war die berühmteste und bestdotierte Kompositionsprofessur in der Weimarer Republik. Schönberg war, wie es sein Schüler Alfred Keller formuliert, "der Leiter der berühmtesten und exclusivsten Kompositionsmeisterklasse, die es es wohl je gegeben hatte". Die Berufung als Nachfolger Busonis war mit Sicherheit Schönbergs eklatantester gesellschaftlicher Erfolg. Als er die Meisterklasse in Berlin übernahm, befand er sich auf dem Gipfel seines europäischen Ruhms.

Um das besondere Berlinische Umfeld, in das Norbert von Hannenheim geriet, um diese außergewöhnliche Akademieklasse, um ihren spezifischen historischen Ort und ihre spezifischen Bedingungen, soll es in meinem Vortrag vor allem gehen. Es ist der kursorische Versuch einer biographischen und kompositorischen Kontextualisierung in zwei Kapiteln: Im ersten werde ich von den spezifischen Elementen der Schönbergschen Kompositionslehre und -methode, die er in seiner Berliner Meisterklasse vermittelte, reden, im zweiten von den Berliner Schülern selbst, von der Schönbergschen „Berliner Schule“, und dabei insbesondere von Norbert von Hannenheim, jenen Schüler, den Schönberg rückblickend als einen seiner besten Studenten bezeichnete.

Volltext

Im Sommer 1927 schickte der damals schon fast 30jährige Komponist Norbert von Hannenheim ein Bewerbungsschreiben an Arnold Schönberg, in dem er um die  um Aufnahme in dessen „Meisterklasse“ für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste bat. Weder Norbert von Hannenheims Bewerbungsschreiben, noch die Kompositionen, die er Schönberg schickte, haben sich erhalten, wohl aber das Antwortschreiben Schönbergs, in dem er von Hannenheim die Aufnahme in seine Meisterklasse mitteilt. Norbert von Hannenheim nimmt trotz dieses positiven Bescheids in den folgenden anderthalb Jahren (1928/29) noch Kompositionsunterricht bei Alexander Jemnitz in Budapest, tritt dann aber zum Sommersemester 1929 in Schön-bergs Meisterklasse ein und damit in eine der bedeutendsten Kompositionsklassen des 21. Jahrhunderts: Er wurde Schüler des wohl berüchtigtsten Komponisten und Kompositionslehrers seiner Zeit.

Die Leitung einer Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste zu Berlin war die berühmteste und wohl bestdotierte Kompositionsprofessur in der Weimarer Republik. Schönberg war, wie es Hannenheims Kommilitonen Alfred Keller formulierte, "der Leiter der berühmtesten und exclusivsten Kompositionsmeisterklasse, die es es wohl je gegeben hatte". Die Berufung als Nachfolger Busonis war mit Sicherheit Arnold Schönbergs eklatantester gesellschaftlicher Erfolg. Als er die Meisterklasse in Berlin übernahm, befand er sich auf dem Gipfel seines europäischen Ruhms.

Um das besondere berlinische Umfeld, in das Norbert von Hannenheim geriet, um diese außergewöhnliche Akademieklasse, um ihren spezifischen historischen Ort und ihre spezifischen Bedingungen, soll es in dem folgenden Vortrag vor allem gehen. Es ist der kursorische Versuch einer biographischen und kompositorischen Kontextualisierung. Ich möchte das in zwei Kapiteln tun: Im ersten werde ich von der Schönbergschen Lehre reden, im zweiten von den Schülern selbst, von der Schule.

Arnold Schönberg unterrichtete vom Wintersemester 1925/26 bis zum 20. März 1933     25 Schüler in seiner Meisterklasse: Seine Klasse war international: Marc Blitzstein und Adolph Weiss kamen aus Amerika, Karl Alfred Deutsch und Josef Rufer aus Österreich, Norbert von Hannenheim (als Siebenbürgener) aus Rumänien, Natalie Prawossudowitsch aus Russland, Nikos Skalkottas aus Griechenland, Roberto Gerhard Castells aus Spanien (Katalonien), Leo Weiss und Miroslav Spiller aus Jugoslawien, Erich Schmid und Alfred Keller aus der Schweiz.

Schönberg machte es seinen Schülern bekanntermaßen nicht leicht. Wer zu ihm kam musste einen obligatorischen Initiationsritus überstehen. Er musste sich anhören, dass er nichts konnte und nichts gelernt hatte: Erich Schmid überliefert den Schönbergschen Auspruch: "Wenn Sie zu mir kommen wollen, dann müssen'S wissen, dass Sie nix können". Schönberg war in seinem Urteil direkt und schonungslos. Auf die erste Bewerbung seines späteren Schülers Peter Schacht beispielsweise antwortete er mit folgendem kurzem Brief: "Sehr geehrter Herr, aus den mir vorliegenden Proben kann ich leider nicht genug entnehmen, was für die Ausbildungsfähigkeit Ihres Talents spricht. Ich glaube nicht, dass Sie genug und auch nicht, dass Sie das Richtige gelernt haben. … Eine schöpferische Begabung kann ich hier nicht erkennen -- es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber: Positives kann ich nicht finden …. "

Kaum eine erste persönliche Vorstellung bei Schönberg verlief ohne diese unvermeidliche Konservatoriums- und Hochschulschelte. Er tut es im gleichen Tonfall, der sich durch die ersten Seiten der Harmonielehre von 1911 zieht: Der Autodidakt rechnet mit den Etablierten ab, mit den Posteninhabern und Titelträgern, Diplomierten und Studierten: Es zeigt sich hier deutlich die eigenartige Verbindung von maßloser Arroganz und maßlosem sozialem Minderwertigkeitsgefühl, die so bezeichnend für Schönberg ist: "Nur keine Zeugnisse!" rief er Alfred Keller bei der ersten Begegnung zu. Und Fried Walter berichtet, Schönberg schimpfe "auf die Musikschulen und Konservatorien, dass da nichts gelernt würde, weil auch die meisten Lehrer nichts könnten und sich nichts daraus machten, was aus dem Schüler wird."

Diese eingängliche vollständige Entmutigung war Teil eines pädagogischen Programms und wurde in den ersten Semestern konsequent weiterverfolgt. Auf den Frequenznachweisen zum Jahre 1930 merkte Schönberg an: "Bei den Anforderungen, die ich an ein Werk stelle, ist es den Schülern in der ersten Zeit nicht möglich, etwas zu schreiben, der erste Erfolg ist eigentlich eine ziemlich weitgehende Entmutigung von der sich die Schüler nur langsam erholen. Sie haben dann gewöhnlich erkannt, wie oberflächlich das war, was sie bisher gelernt hatten. … So zeigt sich sogar manchmal ein direkter Erfolg erst nach Ablauf der Lehrzeit und meistens sichtbar an ihrem Ende. Auch die Aufführung fertig gestellter Werke ist meist unmöglich, da die meisten Werke während der Lehrzeit unvollendet bleiben."

Manche Studenten waren dieser psychischen Belastung nicht gewachsen und verließen Schönberg nach kurzer Zeit. Diese initiale, monastische Unterwerfung und Selbstkasteiung (Ich bin nichts, ich kann nichts, ich weiß nichts) gehörte zu Schönbergs pädagogischem Konzept mit seinen Schlüsselbegriffen "Selbstanalyse" und "Selbstkritik", die beide wiederum in den zentralen Oberbegriff der "kunstmoralischen Haltung" (Schmid) übergingen. Selbstanalyse und Selbstkritik sollten zu dem führen, was Schönberg mit "musikalischem Denken" bezeichnete. Das Erlernen des "musikalischen Denkens" zielte auf einen Bewusstseinsstand, in dem der Schüler über jeden seiner kompositorischen Schritte Rechenschaft ablegen konnte.

Im Grunde trifft auf die Schönbergsche Lehre im weitesten Sinne das zu, was der Musiktheoretiker Max Loewengard in einer scharfsinnigen Kritik der Schönbergschen Harmonielehre einmal festhielt, die er „ein Lehrbuch, Autodidakten zu erziehen“ nannte: Der Autodidakt, wollte seine Schüler ebenfalls zu Autodidakten erziehen.

Schönbergs Kompositionskritik richtete sich dabei gegen jegliches unreflektierte „spontane“ Komponieren, dass sich gerade im Gefühl der Freiheit oft nicht aus den Fesseln der Konvention befreie. Es ging ihm um die präzise Fassung des Begriffs der kompositorischen Freiheit, der sich die jungen Schüler in der Unterdrückung jeglicher Spontaneität und jeglicher "Lust", so Fried Walter, beraubt sahen. Erich Schmid, dem wir eine der detailliertesten Darstellungen des Schönbergschen Unterrichts verdanken, adaptierte Schönberg enthusiastisch: "Wir sind nun einmal nicht frei! Die Freiheit in der Kunst zeigt sich nur darin, dass ihre Gesetzmäßigkeit im Künstler zur Natur geworden ist, er aber die Fesseln nicht mehr spürt. Er glaubt sich denn frei und ist doch unter dem Gesetz."

In den ersten Semestern ging es Schönberg darum, das Bewusstsein für den kompositorischen „Widerstand“, das "Gesetz", zu schärfen, dem gegenüber alles Spontane, der „Einfall“ die „Intuition“, auch für Schönberg eigentlicher Maßstab der kompositorischen Begabung, sich gleichermaßen zu behaupten wie unterzuordnen habe. Wer vorher glaubte, komponieren zu können, dem sollte es nun am „Widerstand“ zur gleichsam körperlichen Qual werden. Konkret richtete sich seine Kritik gegen "Schusterflecken, Skalen und leere Stellen" (Fried Walter), um es mit seinem Lieblingsbegriff zu sagen: gegen jegliche "Phrase". Schonungslos ging er mit dem Rotstift gegen "Geschwätzigkeit" vor, gegen nicht-strukturelle Ornamentik und durch den Kompositionsverlauf nicht vermittelte formale Schablonen. Kaum etwas hat die Schönbergsche Kompositionsästhetik so geprägt, wie Adolf Loos‘ Ornamentfeindlich-keit. In manchen Passagen der Harmonielehre, vor allem in dem berüchtigten Kapitel über die „Harmoniefremden Töne“ nimmt sie geradezu absurde Züge an.

Die Arbeit an einer Komposition zog sich so über eine lange Zeit hin: Immer wieder verlangte Schönberg von seinem Schüler, dass er "umarbeiten muss bis es sitzt", berichtet etwa Schmid. "Die Arbeiten der Schüler beurteilte, zerlegte und, wo es ihm angezeigt schien, zerzauste er mit der rückhaltlosen Offenheit, die er auch von den Schülern forderte." (Keller) Es war nach einer dieser Stunden "rückhaltloser Offenheit", dass der sichtlich erboste Schönberg, der ein regelrechtes Massaker unter den ihm vorgelegten Kompositionen angerichtet hatte, nach einer dramatischen Minute des Schweigens seinen zitternden Schülern verkündete: "Als Leiter dieser Kompositionsklasse halte ich es für meine wichtigste Aufgabe, möglichst viele Leute vom Komponieren abzuhalten!" Fried Walter konnte diese zerstörerische Kritik nicht mehr ertragen. Er wendete Schönbergs Meisterklasse nach kurzer Zeit angewidert den Rücken: "Man hätte z. B. im dritten Takt schon den ersten umkehren können. Noch schlimmer wenn etwas ähnliches wie eine Melodie zum Vorschein kam. "Um Gottes Willen", das war ja Kintoppmusik, Kitsch und unmöglich." So verwundert es nicht, dass "oft Wochen [vergingen], ohne dass ein Schüler eine Komposition vorlegte".

Andererseits verlangte Schönberg von seinen Studenten, dass sie "jeden Tag komponieren" (Schmid, Lebenserinnerungen [Anm. 9], S. 63). Die ersten Semester ließ Schönberg seine Studenten fast ausschließlich an Kammermusikwerken arbeiten. Nur dort, wo er besondere Begabung und handwerkliche Beherrschung vorfand wie im Falle Norbert von Hannenheims, Winfried Zilligs und auch Adolph Weiß‘ ließ er dem Studenten völlig freie Wahl bei Gattung und Besetzung und arbeitete schon zu Beginn des Unterrichts an einer Komposition für großes Orchester. Man begann im allgemeinen mit kleineren Gattungen; Klavierwerken (oft Variationen), Liedern, häufig mit einer Violinsonate. Pflicht- und Gesellenstück war fast immer ein Streichquartett, an dem häufig über mehrere Semester gearbeitet wurde. Der großen Orchesterbesetzung näherte man sich allmählich über Kompositionen für Kammerorchester und Bläserensembles.

Tatsächlich nahm den weitesten Raum innerhalb der Schönbergschen Ausbildung die musikalische Analyse ein. Es galt, die an der Analyse gewonnen Erkenntnisse für die eigene Arbeit fruchtbar zu machen, was nicht ohne Schwierigkeiten gelang: "die meisten meiner Schüler [produzieren] zu gewissen Zeiten langsamer und weniger …, weil es ihnen oftmals nicht leicht fällt, die aus der Analyse der Meisterwerke und aus meinen theoretischen Vorträgen gewonnenen Gesichtspunkte zu verarbeiten, um den Ansprüchen zu genügen, die ich an ein Kunstwerk stelle."

Mit "Meisterwerken" meint Schönberg in erster Linie die Werke Beethovens und Brahms', die Basis des analytischen Repertoires. Neben der Musik Bachs, Mozart, Schuberts "befaßte er sich aber auch mit den tonalen Komponisten um die Jahrhundertwende: Hugo Wolf, Reger, Richard Strauss, nicht zuletzt Debussy und Ravel, die er zu den Meistern hohen Ranges zählte. Vor allem aber ... Gustav Mahler ..." (Keller) Wenn zeitgenössische Musik analysiert wurde, was eher selten vorkam, dann waren es "neben ... Alban Berg und Anton Webern ... vor allem Bartók, Strawinsky und der junge Hindemith, die er voll anerkannte." Eigene Werke hingegen diskutierte er fast nie: "Im Unterricht der drei Jahre von 1927 bis 1930 war meines Erinnerns nur zweimal von Werken Schönbergs die Rede."

Die Natur der Schönbergschen Meisterwerk-Analyse ist bekannt, er hat sie vor allem in den amerikanischen Schriften bzw. in posthum in Amerika veröffentlichten Schriften niedergelegt. Die Schönbergsche Analyse war ausgesprochen formal, ja sogar formalistisch. Es sind klare Klassifizierungen aufgrund der „Formenlehre“ des späten 19. Jahrhunderts (Marx, Lobe).


Meine Beschreibung mag kein uneingeschränktes Vertrauen in Schönbergs pädagogische Begabung erwecken. Sein autoritärer Führungsstil scheint eher dazu angetan, eine Schar unterwürfiger und folgsamer Epigonen hervorzubringen, als selbstbewusste und selbstständige Komponisten. Tatsächlich konstatierte Erich Schmid, dass man als Schüler Schönbergs "aufpassen [müsse], daß man von dieser ungeheuer starken Persönlichkeit nicht erdrückt wird" und die Lösung vom übermächtigen Einfluss dieser Vaterfigur. Nach Ende der Ausbildung gelang dies den meisten seiner Schüler nur unter großer Anstrengung und von ähnlichen Krisensymptomen begleitet, die schon den Eintritt in seine Meisterklasse gekennzeichnet hatten. Dennoch: Sie gelang den meisten und dies nicht nur, weil sie in der Lage waren sich aus eigener Kraft "freizuschwimmen", sondern auch, weil Schönberg selbst "sich natürlich der überragenden Wirkung seiner Persönlichkeit bewusst [war] und damit auch der Gefahr, die sich für des Schülers eigene Entwicklung ergeben konnte", so Alfred Keller, der eine psychologisch feinfühlige Beschreibung der Schönbergschen Lehre überliefert hat.

Schönbergs pädagogisches Konzept beinhaltete Verfahren, die dieser Gefahr gegensteuern sollten. Da sind die demokratischen Elemente seines Unterrichts: Die Gruppensitzungen in Schönbergs Wohnung fanden in einer bemüht gelösten Atmosphäre statt. In den Sitzungen wurde maßlos geraucht und Kaffee und Tee konsumiert, zwanglos besetzte man die freien Stühle oder lagerte sich um das Klavier. "Der Unterricht an der Berliner Meisterklasse war ohne jede Förmlichkeit" (Keller). Es gab auch kein fest umrissenes Lehrprogramm. Entweder brachten seine Schüler ein eigenes oder ein zu analysierendes "Meisterwerk" mit oder Schönberg griff à l'improviste in seinen Notenschrank. Der Unterricht entfaltete sich in einer wohl nicht ganz unverkrampften Atmosphäre von Freiheit und Gleichberechtigung.

Ein weiteres demokratisches Prinzip war "Schönbergs Angewohnheit, die Kompositionen seiner Schüler zuerst von diesen selbst besprechen und begutachten zu lassen." (Keller) Trotz der Schönbergschen "Vorträge" war es die "Diskussion", die seinen Unterricht prägte und die oft hitzig geführt wurde: "Da kam es dann oft zu heftigen, lautstarken Diskussionen; wenn sie auszuarten drohten, griff Schönberg ein, mit beschwichtigenden Worten zu Sachlichkeit und Ruhe mahnend". (Keller) Griff er ein, vergaß er nicht zu betonen, dass seine Kommentare und Korrekturen "als Anregung, niemals aber als Anweisung" zu verstehen seien. Deutlich ist Schönberg darum bemüht, die Rolle eines primus inter pares einzunehmen,  was ihm – natürlich - nicht gelingen konnte.

Entscheidend ist aber auch Schönbergs Bemühen um eine „sachliche“ Beziehung zu seinen Schülern. Seine "schonungslose und schroffe Art" (Keller) bezieht sich immer auf die „Sache“ selbst. Die "rücksichtslose Offenheit" scheint vom „hohen Gegenstand“ und der "kunstmoralischen Haltung" aus, die einer höheren Instanz verpflichtet ist, verordnet (Kunstreligion). Die daraus resultierende Unnahbarkeit und Distanz, die er seinen berliner Schülern gegenüber bewahrte, war so nicht nur Aura der Herrschaft, sondern gleichzeitig auch Schutz der Schüler vor der erdrückenden Autorität des Lehrers. Schönberg brachte keine hörigen Jünger hervor, weil er eine wirklich persönliche Beziehung zu seinem Schüler nicht aufkommen ließ. Man sprach über Musik, allenfalls über die beruflichen Sorgen, damit waren die Grenzen gesteckt. Vertraulicher Umgang wurde vermieden. Auch deshalb besprach Schönberg nicht die eigenen Werke und nie die "12-Ton-Komposition", die eine "Familienangelegenheit" (Schmid) sei: "Jeder für sich allein" war die Botschaft. So problematisch dieses pädagogische Konzept auch erscheinen mag, so hat Schönberg doch eines erreicht: Seine „sachliche“ Distanz verhinderte die totale Identifikation mit dem Lehrer. Bewunderung und Kränkung über verweigerte Nähe hielten sich die Waage.

Kann man im Zusammenhang mit Schönbergs Meisterklasse überhaupt von einer „Berliner Schule“ reden, gibt es eine der Wiener Schule vergleichbaren Zusammenhalt, sei musikästhetisch oder kompositionstechnisch begründet?

Peter Gradenwitz gibt darauf in seiner Studie über Schönbergs Meisterklasse eine deutliche Antwort: Die Berliner Schule ist keine Schule, sondern eine "zufällige" Ansammlung begabter Komponisten unterschiedlichster stilistischer und ästhetischer Ausrichtung, deren einziges verbindendes Element das Schönbergsche Kompositionsethos sei. Gemeinsame kompositionstechnische Begriffe, an denen hätte weiter gearbeitet werden können, gäbe es nicht. (Schönberg Toleranz etc.)

Tatsächlich ist die Zusammensetzung der Schönbergschen Meisterklasse äußerst heterogen, und schon die damalige Kritik nahm das überrascht wahr: "In Schönbergs Meisterschule klingt es uneinheitlicher, die Wege gehen auseinander, aber sie laufen wenigstens ins Freie." (Alfred Einstein, 1932)

Doch bald schon wird deutlich, dass die Berliner Meisterklasse in zwei dominante Gruppierungen zerfiel: Hans Gutmann schreibt: "Gerade von den Schülern Schönbergs haben eine ganze Anzahl die entschlossene Wendung zur Gebrauchsmusik gemacht. (...) Es scheint fast, als ob die jungen Musiker sich desto radikaler von der esoterischen Musik abwenden, je gründlicher sie die Isolierung durch sie kennengelernt haben. Aber naturgemäß rekrutieren sich die Kämpfer der Gegenpartei, die Verfechter der Kunstmusik, auch zum Teil aus dem Kreis um Schönberg."

Die Grenzen der musikalischen Parteien gingen, auch wenn sie zusehends fließender wurden, durch die Schönbergsche Meisterklasse. Dass dies auch innerhalb der Klasse so wahrgenommen wurde, zeigt sich am deutlichsten an einer Passage aus einem Brief Nikos Skalkottas':

"Ich las in den Zeitungen über den Erfolg in Baden-Baden von Göhr, Schüler von Schreker (Hast Du bemerkt, wie er es vermeidet zu schreiben: '[Schüler von] Schönberg'?) Auf der anderen Seite gibt sich Gronostay als Schüler Hindemiths aus. Jetzt werden sie beide die ganze Welt erobern, und deren Geld. Sei’s drum."

Es ist klar: Spricht man von einer Berliner Schule, kann nicht die Summe aller Schönberg-Schüler gemeint sein. Der Begriff bezeichnet die Gruppe von Komponisten, die das Materialverständnis der Wiener Schule aufgegriffen und weiterentwickelt haben. Damit sind vor allem gemeint: Norbert von Hannenheim, Winfried Zillig, Nikos Skalkottas, Roberto Gerhard, Peter Schacht, Adolph Weiss, Erich Schmid und Alfred Keller.

Damit ist kein Werturteil ausgesprochen: Gronostays Kammeroper ist nicht a priori schlechter als Weiss' Kammersinfonie, nur weil die eine reihentechnisch organisiert ist und die andere nicht. Und dass Schule weit mehr beinhaltet als eine bestimmtes Verständnis von Kompositionstechnik, ließe sich an Walter Goehr demonstrieren, der kompositorisch in die Gegenrichtung ging, als Interpret aber der "Schule" treu blieb.

Aber auch die Gruppe der Schüler, die durch eine ähnliche Art kompositorisch zu denken verbunden ist, erscheint in ihren musikalischen Produktionen weniger geschlossen als die Wiener Schule. Hier wird die entscheidende Differenz zwischen Berliner und Wiener Schule, zwischen 1. und 2. Generation greifbar: Die Voraussetzungen beider Schulen sind grundverschieden, sowohl, was die musikhistorische Situation als auch, was die personale Konstellation betrifft. Schönberg war rund ein Jahrzehnt älter als Berg und Webern. Alle drei entstammen so gesehen einer Generation. Und ihr Verhältnis untereinander erschöpfte sich nicht in einer klassischen Schüler-Lehrerbeziehung. Die Wiener Schule war verschworene Gemeinschaft, ein Geheimbund, auf dem Weg zu neuen Ufern. Auf diesem Weg war der eine dem anderen nicht nur Weggefährte, sondern auch Konkurrent. Nie waren in der Berliner Schule Privates und Künstlerisches so eng miteinander verbunden wie in der Wiener. Seine berliner Schüler waren Schönberg niemals Weggefährten, wie Webern und Berg es waren.

Sie konnten es schon deshalb nicht sein, weil diese jüngere Generation durch die musikalische Revolution, die Schönberg mehr als irgendein anderer Komponist des      20. Jahrhunderts hervorgerufen hatte, bereits geprägt waren. Schönberg, Berg und Webern wachsen in eine spätromantische Tonsprache hinein, deren Fundamente sie dann gemeinsam einreißen. Die Wiener Schule ist den Komponisten der Berliner Schule bereits Geschichte geworden, so wie Schönberg im allgemeinen in den zwanziger Jahren gleichsam zum etablierten Mobiliar der deutschen Musikgeschichte gehörte. (Altes Eisen) Keiner seiner Berliner Studenten lernt erstmals sein Handwerk bei Schönberg. Die meisten haben bereits ein abgeschlossenes Kompositionsstudium hinter sich gebracht. Alle bringen damit aber auch ein unvergleichlich größeres Maß an eigener kompositorischer (auch nationaler) Geschichte mit in den Unterricht. Alle bewerben sich bei Schönberg mit einem "modernen" Werk. Sie pflegen unterschiedlichste musikalische Stile und haben unterschiedlichste ästhetische auch national bestimmte Präferenzen: Bartók, Strawinsky, Ravel, katalanische und griechische Volksmusik gehören ebenso zu ihrer Tradition wie die Musik der Wiener Schule.

Kaum ein berliner Schüler Schönbergs folgt dem Lehrer in kompositionstechnischer Hinsicht so eng wie die Wiener Schüler. Skalkottas operiert mit mehreren Reihen gleichzeitig (bis zu 40), von Hanneheim mit 30 und 40 tönigen Reihen, auch Gerhard und Schacht entwickelten einen sehr freien und im Vergleich zu den Komponisten der Wiener Schule wenig orthodoxen Umgang mit den reihentechnischen Verfahren. Schmid blieb in dieser Hnsicht sogar eher konvtionell. Alle Schönberg Schüler schienen an zwei zentralen Problemenbereichen zu arbeiten, die sie in der Musik der Wiener Schule – und besonders wohl auch in der Musik Schönbergs, ausmachten: Dem Rhythmus und der Harmonik. Gerhard, Skalkottas und besonders eben auch Norbert von Hannenheim sind von der Motorik der Neoklassik, im Besonderen von Strawinsky und Bartók geprägt. Ihrer Musik eignet eine rhythmische Unmittelbarkeit und Körperlichkeit, die der Musik der Wiener Schule oft fremd ist. Bei der Musik Norbert von Hannenheims hat man mitunter das Gefühl, als ob alle Parameter der Musik – die Motivik, die Harmonik und der Kontrapunkt, den Albert Breier treffend als Urzelle der Hannenheimschen Kompositionstechnik beschrieben hat, - in den Sog einer  aberwitzig sich überdrehenden und dabei selbstauflösenden neoklassizistischen Motorik geraten sind, die jene Aura des Gehetzten und Ruhelosen so entscheidend ausmachen, die  Hannenheims Musik umgibt und welche Breier einprägsam in das Bild einer Musik, die dem „Tod durch Erschöpfung“ erliegt, gefasst hat. Die individualisierten Reihen-verfahren, vor allem die gleichzeitige Arbeit mit mehreren Reihen bei Skalkottas oder die Arbeit mit „tonalen Keimzellen“, die der Reihe aufgesetzt werden bei Schacht,  haben hingegen oftmals den Sinn, die Gleichschaltung von Vertikale und Horizontale im musikalischen Raum Schönbergs, aufzuheben und die Harmonik in stärkerem Maße unter Kontrolle zu bringen.

Mit der Tradition der Wiener Schule sind alle Berliner durch ein bestimmtes kompositionstechnisches Denken zwar stärker verbunden als mit jeder anderen (und erst im Sinne dieser Gemeinsamkeit kann man überhaupt von einer Schule reden), aber überall hört man, wie die Wiener atonale Moderne einen vielfarbig schillernden "Neoklassizismus" in sich aufgenommen hat. Man könnte auch sagen, dass "radikale" wiener Provinzialität und "tolerante" berliner Weltläufigkeit eine produktive Verbindung eingegangen sind.

[Dass man von einer Berliner Schule nicht reden kann, wenn das Spezifische, auf dem sie gründet, nichts weiter ist als die kompositorische Verbindung von "Schönberg und Strawinsky", die ein Signum der Zeit war, versteht sich von selbst. Wie sich Strawinskys Dodekaphonie von der Schönbergs so unterscheidet wie dessen Neoklassizismus vom Strawinsky'schen, so ist es auch für die nachfolgende Generation ein entscheidender Unterschied, von welcher Seite kommend man sich dem Anderen nähert. Dass die Berliner Schule versucht, Schönberg "reihentechnisch" zu überbieten, während die "Zwölftönigkeit" (zumindest anfangs) in den Hintergrund tritt, die "externen" Schönbergschüler wie Leibowitz oder Erich Itor Kahn aber gerade den Aspekt der "Zwölftönigkeit" betonen, ist ein bezeichnendes Moment dieser Differenz.]

"Berliner Schule" ist eine Konstruktion in Funktion einer Generationengeschichts-schreibung der Wiener Schule. Als Angehörige einer Schule mögen sich Schönbergs berliner Schüler wohl selbst gefühlt haben, als Schule wahrgenommen wurden sie nie. [Fast alle berliner Schönberg-Schüler haben sich während ihrer berliner Zeit als Angehörige einer Schule in einem durchaus abgrenzenden, elitaristischen Sinne verstanden. Als ein Zeugnis für viele sei hier aus Roberto Gerhards Erinnerungen zitiert: „As members of the Meisterklasse we rather looked down on the undergraduate population of the Charlottenburg Hochschule für Musik. In fact we very much played up to our higher academic status as Meisterschüler. In retaliation, the Hochschule referred to us, I believe, as die Meistersinger von Schoenberg"].

Mit der Machtergreifung der  Nationalsozialisten erfuhren die jungen Karrieren von Schönbergs Meisterschülern ein abruptes Ende. Nur wenige hatten bereits einen Verleger gefunden, bevorstehende Vertragsabschlüsse kamen nicht mehr zustande. Ihre kulturbolschewistischen Werke aufzuführen wurde zunehmend schwieriger, schließlich fast ganz unmöglich. Einige Schönbergschüler gingen in die Emigration, seine ausländi-schen Studenten kehrten in ihre Heimat zurück. Sie mussten dort oft erfahren, dass ihre Avantgarde-Kunst an ein spezifisch deutsch-österreichisches (vielleicht müsste man sogar sagen: berlinisches) Umfeld gebunden war. Ihre Musik stieß im (noch) freien Europa und in Übersee auf Unverständnis und Ablehnung.

Auf die veränderte Situation reagierten Schönbergs Schüler unterschiedlich: durch Rückzug in die Innere Emigration, durch schließliches Verstummen, durch Hinwendung zur Unterhaltungsmusik, durch Ausübung eines rein praktischen Musikerberufs oder durch ein mehr oder weniger intensives Sich-Arrangieren mit den herrschenden Zwängen und ästhetischen Fordernissen der Nazi-Diktatur oder ihrer neuen/alten Heimatländer. Norbert von Hannenheim und Peter Schacht wurden Opfer der mörderischen Vernichtung, die das nationalsozialistische Deutschland entfesselt hat.

Ob Schönbergs berliner Schüler, wäre ihre eigene Rezeptionsgeschichte nicht dem Krieg zum Opfer gefallen, überhaupt je als Angehörige einer gleichsam "internationalisierten" Wiener Schule Wirkung entfaltet hätten, kann nicht ernsthaft diskutiert werden. Die Funktion des Begriffs der Schule ist hier eine gedächtnispolitische: Sie zielt auch auf eine historische Wiedergutmachung, in dem sie dem gemeinsamen Verlust einen Namen gibt. Eine Schule bilden die Berliner eben auch – und hier natürlich jenseits aller Gruppenbildungen – im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft.

Meine Damen und Herren, wenig war hier explizit von Norbert von Hannenheim die Rede. Seine Rolle in der Berliner Schule war von Anbeginn eine besondere. Erich Schmid hat ihn als „nach außen den erfolgreichsten unter den Meisterschülern Schönbergs“ beschrieben. Er sei der einzige gewesen, „der Schönberg hemmungslos widersprach“ und der einzige, dem Schönberg das auch durchgehen ließ. Hannenheim habe Schönberg imponiert, schlussfolgert Schmid. Norbert von Hannenheim studierte wie Nikos Skalkottas und Peter Schacht mehr als drei Jahre bei Schönberg – und das, obwohl er, wie fast alle Beobachter bescheinigen, bereits ein handwerklich ausgereifter Komponist war, als er zu Schönberg kam. Von allen berliner Schülern Schönbergs haben Norbert von Hannenheim, Peter Schacht, Alfred Keller und Nikos Skalkottas Schönbergs Kompositionslehre am stärksten verinnerlicht und sein kompositorisches Denken produktiv weiterentwickelt. Hannenheims psychische Erkrankung scheint während seines Studiums in der Schönbergschen Meisterklasse vollends ausgebrochen zu sein, Peter Schacht berichtet darüber: In seinem schrecklichen Leiden und seinem schrecklichen Ende manifestiert sich greifbar und erschütternd, was alle Angehörige der Schönbergschen Berliner Schule waren, Kinder einer verlorenen Generation.

https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Holtmeier
Rektor der Hochschule für Musik Freiburg
Schwarzwaldstr. 141, 79102 Freiburg
Email: l.holtmeier@mh-freiburg.de
Tel: (+49) 761-31915-157 /
Fax: (+49) 761-31915-42


 



Dr. Gabriel Iranyi

Norbert von Hannenheim's Streichquartett Nr. II und das Streichtrio Nr. 3:    Struktur und Bedeutung für  das Kammermusik-Repertoire des 21. Jahrhunderts


Kurzfassung


Norbert von Hannenheim pflegte öfters seine Werke in Zyklen von 6 Werken zu konzipieren, die er mal mit arabischen, mal mit römischen Ziffern nummerierte. Bis heute wurden 4 Streichquartette gefunden: Nr. 9, Nr. II, Nr. IV, Nr. XI und von den vielen Streichtrios nur das Streichtrio Nr. 3. (Die GEMA verwahrt einen Zettelkatalog mit seinen angemeldeten Kompositionen: dieser enthält 50 Orchesterwerke, etwa 50 Kammermusikwerke, 23 Kompositionen für Klavier und etwa 80 Stücke Vokalmusik.)

Hannenheims Musik wurde schon Ende der 20-er und Anfang der 30-er Jahre von solchen Persönlichkeiten wie Arnold Schönberg, Hans Heinz Stuckenschmidt und Alban Berg anerkannt. H.H. Stuckenschmidt schrieb in „Modern Music“ Band X 1932 / 33, S. 16: „Die Individualität seines Stils liegt in perfektem tonalem Gleichgewicht und findet Ausdruck in einem Reichtum von Intervallen, der jede Note, jedem Akkord, jede horizontale und vertikale Linie der Struktur miteinander verbindet.“

Die Beleuchtung der Struktur zweier Streichquartette und seinem Streichtrio Nr. 3 soll für eine bessere Verbreitung seiner kammermusikalischen Werken im internationalen Konzertleben und der Bereicherung des Repertoires dienen.

Die Langfassung finden Sie bei Hannenheim - Analyse Streicherkompositionen

Dr. Gabriel Iranyi  
gabmus71@gmail.com  
www.gabrieliranyi.de
  
Tel. 030 - 792 01 67 / mobil 0177 - 300 78 37




Gesprächskonzert Prof. Dr. Siegfried Mauser und  Amélie Sandmann-Mauser

Anmerkungen zu Liedern und Klaviersonaten

Gerade die Lieder lassen uns den Zugang zu Hannenheims Gedankenwelt leichter erscheinen als die textlosen Kompositionen. Rilke war in Rumänien-Siebenbürgen Kult bei der jungen Generation. Für vierzig Lieder wählte Hannenheim Gedichte Rilkes als Vorlage, sodass man wohl sagen darf, er habe diesen Dichter vor allen anderen bevorzugt, diese Lyrik inspirierte ihn zu seinen vielleicht eindrucksvollsten Liedern. Andere Liedtexte entnahm er von Hölderlin, Nietzsche, Morgenstern, Binding, manchmal von jüdischen Dichtern wie Ernst Lissauer oder auch nationalsozialistisch geprägten wie Ernst Ludwig Schellenberg.

Ein vielfach von ihm vertonter Dichter war Max Dauthendey. Die von Farben und Tönen bestimmte ungebundene und rhythmische Lyrik machte Dauthendey zu einem der bedeutendsten Vertreter des Impressionismus in Deutschland. Über seine Gedichte sagte Stefan George, sie „seien das einzige, was jetzt in der ganzen Literatur als vollständig Neues dastehe eine eigenartige Kunst, die reicher genießen lasse als Musik und Malerei, da sie beides zusammen sei.“ Und Rilke bezeichnete ihn als einen „unserer sinnlichsten Dichter, in einem fast östlichen Begriffe“.

Durch Hannenheims Liedschaffen hindurch zieht sich die allgemeine Tendenz der Schönbergschule zu sehr schnellen Tempi – inspiriert durch die Metronomangaben Beethovens – , und der Singstimme werden - in der Schönbergschule ebenfalls nichts Ungewöhnliches - über längere Strecken sehr hohe Töne abverlangt. Aber haben wir das nicht auch im Ohr von Beethovens "Ode an die Freude"?



Albert Breier  
In der Zukunft wohnen - Leben und Nachleben von Norbert von Hannenheims Musik








  



Zusammenfassung

Die Zukunft, soweit man sich ihre utopische Ansicht zu eigen macht, ist kein Ort, an dem man wohnen könnte. Die utopischen Entwürfe des Schönberg der freien Atonalität umrissen Extremzustände, ließen „Luft von anderen Planeten“ spüren.  Norbert von Hannenheim, obwohl durchaus ein Visionär, scheint in seinem Werk vielfältige Strategien entwickelt zu haben, eine bewohnbare musikalische Welt zu schaffen. Dazu gehört seine Eigenart, Kompositionen gleich in Gruppen zu schaffen: drei, sechs oder gar zwölf Werke derselben Art bilden weniger einen Zyklus als dass sie die nachdrückliche Behauptung und die dauerhafte Besiedlung eines musikalischen Terrains anzeigten. Weiter dient die große Flexibilität in der Handhabung der Zwölftontechnik bei Hannenheim dazu, der Gefahr der Zuspitzung des Systematischen zu entgehen – im abstrakten System kann man nicht wohnen; damit ein musikalisches Gebäude bewohnbar wird, müssen beständig kleine Anpassungen vorgenommen werden, die vielleicht der Theorie widersprechen, aber der Gesamtwirkung förderlich sind.  Im sich abzeichnenden Nachleben Hannenheims dagegen könnte seine Tendenz, spannungsvolle Zustände zu erzeugen, die nicht auf ein Abbrechen zielen, sondern ausgehalten und genossen werden können, als eine neue Art von Wohnlichkeit erfahren werden. Wenn Hannenheim eine Bedeutung auch für zukünftige Komponisten-generationen haben soll, so mag sie genau hierin liegen.    


Volltext

Von jeher ist die Musik dem flüchtigen Wind verschwistert gewesen und hat sich nach der Festigkeit der Architektur gesehnt. Bisweilen – etwa in der Wiener Klassik – hat sie ihr Ziel fast erreicht. In anderen Epochen musste sie sich geradezu dem Wehen des Windes angleichen, um dem Geist solcher Zeiten Ausdruck geben zu können.

Utopien sind Festungen gegen den Wind, der aus der Zukunft weht – einen Wind, der zumeist Zerstörung bringt. Zugleich werden sie von diesem Wind immer wieder gespeist. Die musikalischen Utopien blühten in einer Zeit, als die architektonische Sicherheit, die das 19. Jahrhundert noch besessen hatte, im Zuge der Ereignisse, die schließlich zum Ersten Weltkrieg führten, verlorenging. Zunächst war die musikalische Zukunft kein Ort, an dem man wohnen konnte. Die utopischen Entwürfe des Schönberg der freien Atonalität umrissen Extremzustände, ließen „Luft von anderem Planeten“ spüren. Man kümmerte sich nicht um Dauerhaftigkeit, gab sich ganz dem zumeist als schmerzvoll erlebten Augenblick hin. Bei Schönberg hatte das die Konsequenz des zeitweiligen Verstummens: Eine völlig ephemere Musik kann auch nicht gewesen sein. Erst mit der mühsamen Konsolidierung nach dem Chaos von 1918 wurde auch in der Musik das Bemühen nach Dauer wieder spürbar. Schönbergs Zwölftontechnik kann als ein Versuch angesehen werden, dem Wind der Zukunft ein Haus zu geben, in eine Welt aus Luft und Flamme etwas Solidität zu bringen.

Schönbergs Berliner Schüler haben auf verschiedene Weise versucht, an dem Projekt einer lebbaren Moderne mitzuarbeiten. Besonders vielfältige Strategien hat in dieser Hinsicht Norbert von Hannenheim entwickelt, der, obwohl durchaus ein Visionär, in seinen überlieferten Kompositionen immer neue Versuche unternimmt, eine bewohnbare musikalische Welt herzustellen. Dazu gehört seine Eigenart, Kompositionen gleich in Gruppen zu schaffen: drei, sechs oder gar zwölf Werke derselben Art bilden weniger einen Zyklus als dass sie die nachdrückliche Behauptung und die dauerhafte Besiedlung eines musikalischen Terrains anzeigten. Die Konzentration aufs einzelne und einzige, unvergleichliche Meisterwerk – ein Ideal der Romantik – weicht der Möglichkeit einer sinnvollen Wiederholbarkeit. Nicht, dass Hannenheims Werkgruppen von der Uniformität mancher vielteiligen Opera des Barock wären, aber das Prinzip strahlt ein Bemühen um Zuverlässigkeit aus, für das die handwerkliche Sicherheit der Barockkomponisten durchaus ein Sehnsuchtspunkt ist.

Die bewundernswerte Flexibilität in der Handhabung der Zwölftontechnik dient bei Hannenheim dazu, der Gefahr der Zuspitzung des Systematischen zu entgehen. Im abstrakten System kann man nicht wohnen: es lässt sich vielleicht gut beschreiben, aber nur als Konstrukt, nicht als realen Raum. Damit ein musikalisches Gebäude bewohnbar wird, müssen beständig kleine Anpassungen vorgenommen werden, die vielleicht der Theorie widersprechen, aber der Gesamtwirkung förderlich sind. Der Komponist muss hier größtes Fingerspitzengefühl beweisen. In einigem nimmt Hannenheim in dieser Hinsicht bereits Freiheiten vorweg, die sich Schönberg erst ganz am Ende seines Lebens gönnte, etwa in Werken wie dem Streichtrio op. 45.

Zwar ist der expressionistische Gestus nie ganz aus Hannenheims Musik verschwunden, jedoch lässt er es nie beim einzelnen, einsamen Schrei bewenden, sondern zielt darauf ab, auch dem zugespitzten Ausdruck eine gewisse Ausdehnung zu verschaffen. Und er ist in der Lage – in seinen langsamen Sätzen und in einigen Liedern – eine Art von meditativer Zeitlosigkeit zu erzeugen, die bereits auf die Musik der sechziger Jahre vorausweist, etwa auf die Werke Morton Feldmans. In den schnellen Sätzen findet sich dagegen immer wieder eine charakteristische „fliegende Hast“, die bei der Interpretation nicht geringe Schwierigkeiten schafft. Denn es kann nicht darum gehen, sich dem Sog der Musik ganz zu überlassen; vom Interpreten wird verlangt, einen klaren und kühlen Kopf zu behalten und dennoch dem nötigen Maß an Zukunftsenthusiasmus Raum zu geben. (Vergleichbare Probleme gibt es etwa bei der Interpretation der Werke Alexander Skrjabins.)

Ein „Leben“ ist Hannenheims Musik bisher kaum vergönnt gewesen. Das liegt zum einen an den unglücklichen biographischen Umständen, zum anderen aber auch daran, dass Vorstellungen von Dauerhaftigkeit und Wohnlichkeit in der Moderne keinen guten Stand haben. Gerade von den Künstlern selbst werden solche Vorstellungen immer wieder der Lächerlichkeit preisgegeben. Es ist ein durchaus unheimlicher Zug der modernen Kunst, dass sie allzugern mit der Selbstdestruktion spielt, ihre eigene Abschaffung nicht selten geradezu provoziert. Das breite Publikum betrachtet das mit Unverständnis und richtet sich lieber behaglich in den Musikwelten von Barock, Klassik und Romantik ein, die „ewige Werte“ bereitzuhalten scheinen. Der Neuen Musik wird nicht zugetraut, sie könne Plätze schaffen, auf denen sich länger aufzuhalten keine Zumutung bedeute.

Im sich abzeichnenden Nachleben Norbert von Hannenheims dagegen könnte die Tendenz des Komponisten, spannungsvolle Zustände zu erzeugen, die nicht auf ein Abbrechen zielen, sondern ausgehalten und genossen werden können, als eine neue Art von Wohnlichkeit erfahren werden. Gewiss wird Hannenheims Musik niemals „Gemütlichkeit“ ausstrahlen, aber das Wohnen auf dieser Erde war nicht immer so sicher wie im 19. Jahrhundert und wird auch in Zukunft nicht so sicher sein. Wer sich nicht in seiner abgeriegelten gated community einrichten will, muss ein Haus führen, das zwar Zuflucht bietet, aber dennoch offen ist, das Gastfreundschaft kennt und es aushalten kann, wenn frischer Wind durch seine Räume weht.

Wenn Hannenheim eine Bedeutung auch für zukünftige Komponistengenerationen haben soll, so mag sie genau in dieser neuen Art von Wohnlichkeit liegen. Denn zwischen der Ausbreitung träger Unendlichkeit und schockhafter Momenthaftigkeit ist auch in der aktuellen Moderne kaum ein Ausgleich gefunden worden. Hannenheims „lebbare Moderne“ kann hier wegweisend sein.

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Norbert von Hannenheim's Streichquartett Nr. II und das Streichtrio Nr. 3:    Struktur und Bedeutung für  das Kammermusik-Repertoire des 21. Jahrhunderts


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